Das Jahr ist noch jung und viele Unternehmen sind immer noch in einer finanziellen Krise. Die Hoffnung auf eine rasche Lockerung der bundesrätlichen Massnahmen hatten sich Anfang Jahr zerschlagen und erst jetzt ist wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Wir befinden uns (hoffentlich) am Ende dritten Welle. Umfragen zufolge erwarten mittelständische Unternehmen für das laufende Geschäftsjahr einen Umsatzrückgang im zweistelligen Prozentbereich. Gleichzeitig verschlechtern sich die Bilanz- und Liquiditätskennzahlen, was den Mittelstand veranlasst, geplante Investitionen zurückzustellen.
Restrukturierungsmassnahmen werden in vielen Fällen daher unvermeidbar. Von einer finanziellen Umschuldung können sie bis hin zu tiefgreifenden, strategischen Veränderungen im Unternehmen führen. Doch was hat es mit diesen Massnahmen auf sich? Um hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, hat Marc Meier, Rechtsanwalt Georg Johann Wohl, Kanzlei BAUR HÜRLIMANN AG Zürich und Baden, zum Interview eingeladen, der uns alles Wissenswerte rund um die Restrukturierung erläutert.
Wie wir mittlerweile wissen, ist trotz Impfungen nicht mit einer raschen Normalisierung der Lage zu rechnen. Je nach Geschäftsmodell werden Unternehmen liquiditätsmässig weiter unter Druck geraten, selbst wenn ab dem zweiten Halbjahr der erhoffte Aufschwung kommen sollte. Nicht nur die klassischen von der Krise betroffenen Branchen, also die Reise-, Tourismus-, Hotellerie- und Restaurationsbranche, sondern auch deren Zulieferer sind nach wie vor stark gefährdet. Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass die finanzielle Schieflage von betroffenen Unternehmen oft mit den Härtefallgeldern gar nicht beseitigt werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob die dritte Runde der Härtefallgelder ausreicht, oder ob sich Unternehmen mit Ihren Gläubigern arrangieren müssen.
Wir müssen abwarten, ob die kürzlich beschlossene Erhöhung der Härtefallgelder Wirkung zeigt. Fraglich ist nicht nur, ob die Bemessung der Nothilfe als solche ausreichend ist, sondern ob diese rechtzeitig bei den Unternehmen ankommt. Jeder Kanton hat da andere Vorschriften und Praktiken. Viele vergessen, dass die bundesrätlichen Nothilfeverordnungen lediglich Zahlungsausfälle der Kantone garantieren sollen. Ob und welche Hilfen effektiv ausbezahlt werden, entscheidet jeder Kanton selbst. Die meisten Unternehmen müssen bis Ende Juni dieses Jahres ihre Jahresrechnung verabschiedet haben. Je nachdem wie die ersten sechs Monate gelaufen sind und was für den Rest des Jahres budgetiert wird, unter Berücksichtigung allfälliger staatlicher Nothilfen, stellt sich die Frage, ob die Bilanz per 31. Dezember 2020 noch zu Fortführungswerten erstellt werden darf oder auf Liquidationswerte umzustellen ist, was in den meisten Fällen in die Überschuldung führt.
Daher ist die Versuchung gross, weiter auf die Karte Hoffnung zu setzen und der Jahresplanung unrealistische Budgets und Liquiditätspläne zu Grunde zu legen. Vermeintlich unerwartet gerät das Unternehmen dann in Zahlungsschwierigkeiten. Wertvolle Zeit und Ressourcen fehlen dann für ein nachhaltiges Sanierungsverfahren.
Die finanzielle Restrukturierung betrifft im Wesentlichen bilanzielle Vorgänge, bei welchen die Gläubiger auf bestehende Schulden einen Rangrücktritt erklären bzw. Schulden stunden oder ganz verzichten. Meistens schiessen die Aktionäre im Gegenzug noch neues Geld ein. Diese finanziellen Restrukturierungsmassnahmen sollen primär die Insolvenz des Unternehmens verhindern und helfen aber nur dann etwas, wenn das Geschäftsmodell an sich funktioniert, d.h. der Betrieb nachhaltig und in der Zukunft (wieder) erfolgreich wirtschaften kann. Auf viele Unternehmen, die in der aktuellen Krise in Finanznöte geraten sind, soll dies zutreffen, weil sie angeblich vor der Krise grundsätzlich profitabel waren.
Unsere Praxiserfahrung zeigt aber, dass viele Unternehmen schon vor Corona Probleme hatten, deren Auswirkungen durch die Krise beschleunigt wurden. Die Hilfsmassnahmen haben aber dazu geführt, dass diese Unternehmen dennoch nicht insolvent geworden sind. Bei diesen Fällen ist eine finanzielle Restrukturierung auf lange Sicht nicht ausreichend. Regelmässig müssen daher auch auf operativer Ebene Massnahmen ergriffen werden und diese können durchaus darin liegen, dass man gewisse Geschäftsbetriebe verkleinert, verkauft oder ganz schliesst, was zu Entlassungen führen kann.
Es hängt davon ob, in welchem Zeitpunkt ein Unternehmen die Restrukturierung bzw. Sanierung angeht. Das Gesetz kennt sog. Alarmglocken, bei welchen die Unternehmensleitung aktiv werden muss. So muss der Verwaltungsrat beim sog. hälftigen Kapitalverlust, wenn also die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr durch Eigenkapital gedeckt sind, Sanierungsmassnahmen einleiten und die Generalversammlung informieren. Sobald das neue Aktienrecht komplett in Kraft getreten ist, muss zudem eine eingeschränkte Revision durchgeführt werden. Dies soll sicherstellen, dass der Verwaltungsrat seine Verantwortung wahrnimmt und das Geschäftsmodell überprüft. Da in diesen Fällen keine unmittelbare Insolvenz drohen dürfte, kann der Verwaltungsrat grundsätzlich frei agieren.
Die nächste Alarmglocke läutet eher spät, nämlich dann, wenn die Unternehmensleitung begründete Besorgnis haben muss, dass das Unternehmen überschuldet sein könnte. Dies ist dann der Fall, wenn äussere oder innere Umstände einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit haben könnten, wie z.B. fortlaufende Verluste, Zahlungsschwierigkeiten, Wirtschaftskrisen oder eben eine Pandemie. Die Unternehmensleitung muss sofort eine Zwischenbilanz erstellen und prüfen, wie es finanziell um das Unternehmen steht. Sind die Forderungen der Gläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt, muss grundsätzlich der Konkursrichter benachrichtigt werden.
In den meisten Fällen weist eine Bilanz zu Fortführungswerten keine Überschuldung aus, sondern erst die Umstellung auf Veräusserungswerte lässt das Eigenkapital implodieren. Die Versuchung ist daher gross, trotz angespannter Liquiditätssituation und eingebrochener Kundennachfrage unrealistische Budgets zu erstellen und so die Fortführungsfähigkeit zu «konstruieren».
Führt das Unternehmen in dieser latenten Insolvenzsituation den Betrieb fort, ergreift aber keine griffigen operativen Restrukturierungsmassnahmen, kann dies zu grossen Problemen führen, wenn der sog. Turnaround nicht gelingt und schliesslich doch Konkurs eröffnet werden muss. Die Gläubiger können versuchen, gewisse Transaktionen nachträglich anzufechten, z.B. Betriebsverkäufe oder Darlehensrückzahlungen. Ausserdem setzen sich Verwaltungsräte und Geschäftsführer erheblichen zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisiken aus.
Nein, ganz im Gegenteil. Der Verwaltungsrat hat die Pflicht, Sanierungsmöglichkeiten zu prüfen. Um die genannten Risiken bei latenter Insolvenzgefahr zu reduzieren, sollte aber geprüft werden, ob eine Nachlassstundung beantragt wird.
Georg Johann Wohl ist Partner in der Rechtsanwaltskanzlei BAUR HÜRLIMANN AG Zürich und Baden und leitet dort zusammen mit seinem Partner Dr. Daniel Hunkeler das Team für Restrukturierung, Sanierung und Insolvenzrecht. Er studierte Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät in Basel (lic. iur.) und ist seit 2008 in der Schweiz als Rechtsanwalt zugelassen. 2011 erlangte er den LL.M. in internationalem und europäischem Wirtschaftsrecht. 2013/14 absolvierte Georg J. Wohl ein Secondment bei der Eidg. FINMA im Bereich Bankensanierung. Derzeit studiert er berufsbegleitend an der ZHAW im MAS Studiengang Corporate Finance und M&A. Seit 2012 hat sich Georg J. Wohl auf das nationale und internationale Insolvenz- und Restrukturierungsrecht spezialisiert. Er berät Unternehmen und Investoren bei gerichtlichen und aussergerichtlichen Sanierungsverfahren und ist auch regelmässig als gerichtlich eingesetzter Sachwalter und Konkursliquidator tätig. Zu seinen Tätigkeiten gehört weiter die Beratung bei sog. Distressed M&A Transaktionen und damit zusammenhängende Finanzierungsfragen. Georg J. Wohl publiziert und referiert regelmässig zu Themen der Restrukturierung und Sanierung.