Nach wie vor hat die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die Wirtschaft. Folglich befinden sich viele Unternehmen, aufgrund der Umsatzrückgänge, in einer finanziellen Krise. Manchen Entscheidungsträgern erscheint daher die Konkursanmeldung als einzige Lösung, unter anderem auch um Haftungsrisiken zu vermeiden. Dabei gibt es die Möglichkeit der Nachlassstundung, die dem Unternehmen Zeit verschaffen kann, sich neu aufzustellen. Um hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, hat Marc Meier, Rechtsanwalt Georg Johann Wohl, Kanzlei BAUR HÜRLIMANN AG Zürich und Baden, zum Interview eingeladen. Er wird uns alles Wissenswerte rund um die Nachlassstundung erläutern.
Zunächst ist es wichtig, dass ein sauberes Budget inkl. Liquiditätsplan erstellt und mindestens monatlich überwacht wird. Ein Unternehmen sollte Ende jeden Monats basierend auf dem Budget jeweils in der Lage sein, mindestens 12 weitere Monate zu überleben. Befindet sich ein Unternehmen dennoch in einer finanziellen Schieflage, also bei drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder bei Überschuldung, hat der Verwaltungsrat die Pflicht, Sanierungsmöglichkeiten zu prüfen. Hierbei sollte immer auch eine Nachlassstundung in Betracht gezogen werden.
Die Nachlassstundung wird leider immer noch sehr stigmatisiert. Dabei wurde das Verfahren schon 2014 substantiell verbessert und kann heute als reines Sanierungsverfahren, als sog. Moratorium verwendet werden. Ähnlich wie das US-amerikanische Chapter 11-Verfahren oder das kanadische CCAA-Verfahren. Das heisst die Nachlassstundung verschafft einem Unternehmen Zeit, sich neu aufzustellen und mit den grössten Gläubigern im Stillen zu verhandeln.
Die Nachlassstundung wird nicht zwingend veröffentlicht und der Betrieb kann unter Beaufsichtigung eines gerichtlichen Sachwalters grundsätzlich normal weitergeführt werden. Es verbessern sich sogar die kurzfristigen Finanzierungsmöglichkeiten, um den Turnaround zu schaffen.
Gerade jetzt kann es für viele Unternehmen interessant sein, ein sog. stilles, d.h. geheimes Nachlassstundungsverfahren zu durchlaufen, wenn unklar ist, ob die Liquidität für die kommenden Monate ausreicht. Durch das Nachlassstundungsgesuch erfüllt der Verwaltungsrat seine Pflicht, die Gläubiger zu schützen und eine Sanierung zu versuchen. Die bestehenden Schulden müssen während der Stundung einstweilen nicht bezahlt werden, sondern der Betrieb kann basierend auf einem Liquiditätsplan, der nur Zahlungsströme für neue Verbindlichkeiten erfasst, fortgeführt werden. Dies entlastet in der Regel die Liquiditätssituation erheblich, weil z.B. Ratenzahlungen für bestehende Schulden und Zinsen usw. wegfallen.
Ein Betrieb, der verschiede Filialen betreibt, kann gestützt auf das Gesetz nicht profitable Filialen sofort schliessen, d.h. Mietverträge fristlos kündigen. Die entsprechende Ersatzforderung des Vermieters hat grundsätzlich kein Privileg, weshalb er ein Interesse hat, mit dem Mieter eine Einigung zu erzielen, allenfalls in Form von Mietreduktionen für die Zukunft. Es besteht auch die Möglichkeit, einen Personalüberhang sofort abzubauen und nicht benötigtes Personal freizustellen. Dies klingt hart, nützt aber v.a. dem Personal. Anstatt zu riskieren, dass der Arbeitgeber insolvent wird und dann auf Zahlungen der Insolvenzentschädigung oder des Konkursamts zu warten, können sich die freigestellten Arbeitnehmer direkt ans Arbeitsamt wenden und erhalten während der Kündigungsdauer den Grossteil ihres Lohns ausbezahlt.
Das heisst bereits während der Nachlassstundung führen die genannten operativen Restrukturierungsmassnahmen zur Verbesserung der Profitabilität und bilden die Grundlage, für eine nachhaltige Sanierung.
Der Liquiditätsbedarf bleibt aber gross, weshalb viele Verfahren daran scheitern, dass Unternehmen bereits vor der Nachlassstundung ihre flüssigen Mittel für erfolglose Rettungsaktionen verbraucht haben bzw. fürs «Löcherstopfen». Die Nachlassstundung sieht daher diverse Möglichkeiten vor, wie sich ein Unternehmen während des Verfahrens finanzieren kann.
Das Gesetz schreibt z.B. vor, dass Debitoren, die während der Nachlassstundung erwirtschaftet werden, mit Zustimmung des Gerichts an neue Investoren als Sicherheit abgetreten werden können, z.B. an einen Factor, und zwar selbst dann, wenn z.B. in einem Bankfinanzierungsvertrag alle zukünftigen Debitoren bereits als Sicherheit abgetreten worden sind. Ab Bewilligung der Nachlassstundung fallen diese sog. allgemeinen Debitorenzessionen weg. Ein Factorer kann auch beim Debitorenmanagement und Inkasso helfen. Die Unternehmensleitung hat mit der operativen Führung in der Krise genug zu tun.
Daneben ist es möglich, neue Kredite aufzunehmen und diese mit Bewilligung des Gerichts mit freien Aktiven zu besichern (sog. Massakredit). In den meisten Fällen verfügt ein Unternehmen nur noch über solche Aktiven, die nach geltendem schweizerischem Recht nicht verpfändet werden können, wie z.B. der Maschinenpark oder Material- und Warenvorräte. Die Nachlassstundung ermöglicht es, diese «blockierten» Werte zu mobilisieren und als Sicherheit zu verwenden, um neue Liquidität aufzunehmen. Besteht ein überzeugendes Sanierungskonzept, macht es Sinn, diese letzten Aktiven einzusetzen, um ein besseres Ergebnis für die Gläubiger zu erzielen, als bei einer sofortigen Konkurseröffnung. Der gerichtliche Sachwalter überwacht das Verfahren und kann jederzeit die Notbremse ziehen. D.h. es wird nicht einfach unkontrolliert weitere Substanz verbrannt.
Zentral ist m.E., dass selbst zahlungsunfähige und überschuldete Unternehmen mit der Nachlassstundung neue Liquidität beschaffen und dadurch eine Sanierung versuchen können. Es gibt mittlerweile auf Nachlassstundungen spezialisierte Überbrückungsinvestoren, mit welchen wir zusammenarbeiten.
Wie bereits erwähnt, wird die Nachlassstundung nicht mehr zwingend veröffentlicht. D.h. ein Unternehmen kann die Kommunikationsstrategie selbst festlegen und umsetzen. So kann man gezielt Gespräche führen und den sog. Stakeholdern die Situation erklären. Die Praxis zeigt, dass die meisten Lieferanten und Kunden an Bord bleiben. Sie erhalten durch die Nachlassstundung zunächst Rechtssicherheit, v.a. die Lieferanten, die davon ausgehen dürfen, dass zumindest zukünftige Bestellungen während der Nachlassstundung wieder bezahlt werden. Kunden sind froh, dass es weitergeht.
Wenn Kunden feststellen, dass ein geordnetes Verfahren durchgeführt und vom Sachwalter überwacht wird, sind sie z.B. auch bereit, Zahlungen für vereinbarte Meilensteine zu leisten, damit die Arbeiten fortgeführt werden können. Andernfalls wird der Sachwalter den Abbruch der Arbeiten verlangen, was für Kunden erheblichen Schaden bedeuten kann.
Das Unternehmen kann zunächst versuchen, mit den grössten Gläubigern einen (freiwilligen) Nachlass zu verhandeln und neues Kapital aufzunehmen. Da während der Nachlassstundung auch operative Restrukturierungsmassnahmen rechtssicher umgesetzt werden können, erhöht dies die Chance, dass die bestehenden oder neuen Investoren zusätzliches Eigenkapital einschiessen. Dies wiederum veranlasst die Gläubiger, sich in Verhandlungen zu bewegen, weil sie wissen, dass sie im Konkurs wohl weniger erhalten werden. Kann die Überschuldung beseitigt und die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt werden, kann das Gericht die Nachlassstundung aufheben.
Wurde die Nachlassstundung nicht veröffentlicht, muss auch die Aufhebung nicht veröffentlicht werden. D.h. der ganze Sanierungsprozess kann relativ diskret umgesetzt werden, und zwar während maximal 8 Monaten. Anschliessend erfolgt zwingend eine Veröffentlichung des Verfahrens.
Sind die Gläubiger nicht zu einer einvernehmlichen Lösung bereit, kann das Unternehmen versuchen, einen sog. gerichtlichen Nachlassvertrag abzuschliessen. Dieser kann unter Einhaltung bestimmter Abstimmungsquoren von einer Mehrheit der Gläubiger angenommen werden, sodass auch solche Gläubiger daran gebunden sind, die dagegen gestimmt haben. Das Gericht muss den Vertrag genehmigen und prüft, ob er dem Gesetz entspricht. Dieses Verfahren muss zwingend veröffentlicht werden und es können sich grundsätzlich alle Gläubiger am Verfahren beteiligen.
Schliesslich bleibt die Sanierung mittels Auffanglösung, d.h. die sog. Betriebssanierung. Das bedeutet, dass das Unternehmen als juristische Einheit nicht gerettet wird, sondern nur wirtschaftlich fortgeführt wird. Von der insolventen Gesellschaft werden die interessanten Betriebsteile von den bestehenden oder neuen Investoren übernommen. Der grundlegende Gedanke dahinter ist, dass ein restrukturierter Betrieb wieder durchaus in der Lage ist, positive Deckungsbeiträge zu erwirtschaften und deshalb auch wirtschaftlich einen Wert hat. Diesen Wert gilt es für die Gläubiger zu sichern.
Eine Betriebssanierung funktioniert nur, wenn der Betrieb ohne Altlasten verkauft wird. Dazu sieht das Gesetz viele Vorteile zur praktischen Umsetzung von Betriebsverkäufen während einer Nachlassstundung vor, um den Verwertungserlös zu Gunsten der Gläubiger zu maximieren. So haftet z.B. der Betriebsübernehmer nicht für unbezahlte Löhne der übernommenen Arbeitnehmer. Das Gericht muss einer Betriebsübertragung zustimmen, weshalb der Betriebsübernehmer nicht fürchten muss, dass die Gläubiger den Verkauf anschliessend anfechten.
Nach dem Gesagten hat ein Unternehmen während der Nachlassstundung sämtliche Optionen. Welche dann genutzt werden können, hängt davon ab, ob eine Nachlassstundung rechtzeitig in Angriff genommen und sorgfältig vorbereitet wird. Solange Unternehmen bzw. Verwaltungsräte und Geschäftsführer die Nachlassstundung nur als «Notnagel» vor der Konkurseröffnung betrachten, können nur selten gute Ergebnisse erzielt werden. Mit leeren Kassen kann man auch während einer Nachlassstundung kaum arbeiten. Die genannten Überbrückungsfinanzierungen können helfen, dieses Problem etwas abzufedern.
Der Bundesrat hat bereits im September vergangenen Jahres einen Teil der sog. Aktienrechtsrevision vorzeitig in Kraft gesetzt und dadurch ermöglicht, dass die Nachlassstundung während maximal 8 Monaten still, d.h. geheim durchgeführt werden kann. Damit setzt der Bundesrat ein klares Signal, dass die Nachlassstundung dazu geeignet ist, in einem sicheren Rechtsrahmen den Betrieb fortzuführen und operative wie finanzielle Restrukturierungsmassnahmen umzusetzen.
Sodann wurde im neuen Solidarbürgschaftsgesetz, das die COVID-Kredite regelt, festgeschrieben, dass die Banken bzw. Solidarbürgschaftsorganisationen Unternehmen, die COVID-Kredite ausstehend haben und eine Nachlassstundung beantragen, Zuschüsse an die Sachwalterkosten gewähren dürfen. Damit soll dem Problem der illiquiden Verfahren begegnet werden. Ob dies in der Praxis funktioniert, wird sich zeigen. In der Regel muss rasch gehandelt werden, weshalb es höchstens nach Bewilligung der Nachlassstundung darum gehen kann, einen Zuschuss nachträglich noch einzufordern.
Schliesslich ist in den bundesrätlichen Notverordnungen vorgesehen, dass Unternehmen sog. à fonds perdus Zahlungen beantragen können, wenn sie mit den Gläubigern einen Nachlassvertrag abschliessen wollen und auch die Aktionäre zusätzliches Eigenkapital einschiessen. Auch hier wird sich in der Praxis zeigen müssen, ob dies funktioniert. Es ist aber auf alle Fälle sehr zu begrüssen, dass die Politik versucht, Sanierungen mittels Nachlassstundung zu fördern.
Die Entstigmatisierung des Nachlassstundungsverfahrens. Unser Team bei Baur Hürlimann betreut viele Nachlassstundungsverfahren. Sei es als Schuldnervertreter, Investorenvertreter oder gerichtliche Sachwalter. Wir wissen, dass die Fortführung des Betriebs während der Nachlassstundung funktioniert. Wir haben bereits zahlreiche Fälle erlebt, bei welchen die Nachlassstundung zufolge Sanierung wieder aufgehoben worden ist. Es muss das Ziel sein, dass die Nachlassstundung in der sog. Restrukturierungsberatung und bei den Unternehmen selbst als realistische Option gesehen wird und nicht nur als allerletztes Notfallszenario.
Die Nachlassstundung ist natürlich kein Allerheilmittel. Es gibt klar Risiken. Jedes Unternehmen befindet sich in einer anderen Situation und es gibt viele Fälle, in denen auch wir von einer Nachlassstundung klar abraten und sog. aussergerichtliche Sanierungen durchführen.
Georg Johann Wohl ist Partner in der Rechtsanwaltskanzlei BAUR HÜRLIMANN AG Zürich und Baden und leitet dort zusammen mit seinem Partner Dr. Daniel Hunkeler das Team für Restrukturierung, Sanierung und Insolvenzrecht.
Er studierte Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät in Basel (lic. iur.) und ist seit 2008 in der Schweiz als Rechtsanwalt zugelassen. 2011 erlangte er den LL.M. in internationalem und europäischem Wirtschaftsrecht. 2013/14 absolvierte Georg J. Wohl ein Secondment bei der Eidg. FINMA im Bereich Bankensanierung. Derzeit studiert er berufsbegleitend an der ZHAW im MAS Studiengang Corporate Finance und M&A. Seit 2012 hat sich Georg J. Wohl auf das nationale und internationale Insolvenz- und Restrukturierungsrecht spezialisiert. Er berät Unternehmen und Investoren bei gerichtlichen und aussergerichtlichen Sanierungsverfahren und ist auch regelmässig als gerichtlich eingesetzter Sachwalter und Konkursliquidator tätig. Zu seinen Tätigkeiten gehört weiter die Beratung bei sog. Distressed M&A Transaktionen und damit zusammenhängenden Finanzierungsfragen. Georg J. Wohl publiziert und referiert regelmässig zu Themen der Restrukturierung und Sanierung.