Die Schweizer Wirtschaft hat immer wieder mit Höhen und Tiefen zu kämpfen. Das bringt Unsicherheiten ungeahnten Ausmaßes mit sich und mahnt Entscheider über Branchengrenzen hinweg zur Vorsicht.
Vorschnell könnte man zu dem Entschluss kommen, dass es gerade die Start-up Branche, die sich in einem von grosser Unsicherheit geprägten Marktumfeld bewegt, besonders schwierig hat, risikofreudige Investoren zu finden. Dem ist allerdings nicht so. Die Finanzierungstätigkeit von Schweizer Start-ups wurde von der Covid-19 Krise offenbar kaum tangiert. So blieben die Investments in Schweizer Jungunternehmen im ersten Halbjahr 2020 nach dem Swiss Venture Capital Report auf hohem Niveau. Das was ausländische Investoren weniger an Kapital hereinbrachten, konnte durch Schweizer Kapitalgeber ausgeglichen werden.
So wurden in den ersten 6 Monaten knapp 760 Millionen Franken investiert, mehr noch als in den Vergleichszeiträumen 2016-2018. Jedoch lag dieser Wert 36% unter dem Wert des Jahres 2019.
Marc Meier: Sie haben ja bereits zahlreiche Unternehmen gegründet. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage bei den Start-ups ein? Haben Sie den Eindruck, dass eine Krise wie diese tendenziell gründungsaversiver oder gründungsfreudiger macht?“
Francesco D’Alessandro: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir gar nicht so weit zurück in die Geschichte gehen, um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten. In jeder Krise verbirgt sich eine grosse Chance. Gehen wir zurück in das Jahr 2007/2008 zu der Lehman Brothers Krise oder aber zur Immobilienkrise in Spanien. Was für Unternehmen sind denn dabei entstanden? Unter anderem Airbnb und Uber, das heisst, Milliarden schwere Unternehmen. Ich bin davon überzeugt, dass es in jeder Krise immer einen Gewinner und einen Verlierer gibt. Um auf der Gewinnerseite zu sein, muss man schauen, dass man die Opportunitäten entdeckt und für sich nutzbar macht oder bestehende Prozesse verbessert, in dem man sie schlanker gestaltet. Keinesfalls muss man immer gleich etwas ganz neu erfinden, aber man kann es vielleicht effizienter machen oder sich auf das Orchestrieren externer Ressourcen konzentrieren, so wie Airbnb, Zalando und Uber das tun.
Auf jeden Fall hat Gründung immer mit Charisma zu tun. Wenn einer den Willen hat, etwas zu bewegen, etwas zu verändern, dann wird er es tun, egal, was passiert. Man braucht dafür keine Pandemie, um einen Menschen davon abzuhalten, zu gründen. Meist ist es die eigene Familie, die gründungswilligen Familienmitgliedern von einer Gründung abrät. Im besten Fall bewegt sich ein angehender Gründer selbst in einem Umfeld von erfolgreichen Gründern.
Marc Meier: Betrachtet man die Investments in hiesige Start-ups, so fällt deren besonders hohe Anteil an digitalen Geschäftsmodellen gleich ins Auge. Auch sagt man, dass die Covid-19 Krise gerade die Entstehung von digitalen Geschäftsmodellen antreibt. Doch was, wenn man eine nicht digitale Geschäftsidee hat?
Francesco D’Alessandro: Nicht nur digitale Produkte funktionieren, aber digitale Produkte haben es wesentlich einfacher. Vielleicht will man die Prozesse des Vertriebs digitalisieren, aber das Produkt selbst ist nicht digital. Das gilt es zu unterscheiden: Digitale Produkte versus digitale Prozesse. Prozesse müssen vereinfacht werden, da hilft die Digitalisierung. Das Produkt selbst muss keinesfalls zwingend digital sein.
Interessant ist, dass auch grosse Online- Player immer mehr zurück auf die Strasse gehen. In Form von sogenannten Show Rooms greifen sie den Wunsch nach der Befriedigung unserer Wahrnehmungskanäle, des Riechens, Schmeckens, Berührens wieder auf. Der Beschaffungs-und Vertriebsprozess ist aber durchaus digital. In Zukunft werden wir mehr Show Rooms und digitale Läden haben, in denen wir durch Vorweisen eines QR Codes auf dem Handy das bestellte Gemüse einfach abholen können. Bei Decathlon kann man zum Beispiel in den Laden gehen und alles, was es in dem Laden gibt, direkt auf dem iPad bestellen. Lästiges Taschen Schleppen war gestern.
Marc Meier: Das Wort „Skalierbarkeit“ ist heutzutage in aller Munde. Muss denn jedes Geschäftsmodell, das heute erfolgreich ist, unbedingt skalierbar sein?
Francesco D’Alessandro: Das hängt ganz von seinem persönlichen Ziel ab. Wenn das Ziel ist, ein Milliardenkonzern aufzubauen, dann braucht man wirklich etwas, das skalierbar ist. Wenn man aber lediglich seine finanzielle Freiheit haben will und seine eigene Familie davon ernähren will, dann braucht man nicht zwingend ein skalierbares Geschäftsmodell. Nicht jedes Produkt muss international absetzbar sein. Man darf halt nicht selbst und ständig, als Anspielung auf selbstständig, sein. Im besten Fall kann man als Unternehmer bzw. Investor ein passives Einkommen generieren.
Marc Meier: Die Anzahl der Finanzierungsrunden von Start-ups nahm im ersten Halbjahr deutlich zu – und dies ungeachtet der Corona Pandemie. Auch lag der Median der Investments bei 3,9 Millionen Franken und damit 20 Prozent über dem Vorjahreswert. Wenn ein Start-Up in der Growth Phase ist, wie erhält es dann Kapital ohne zu viele Anteile abgeben zu müssen und damit auch die eigene Entscheidungsmacht nicht zu sehr einschränken zu müssen?
Franceso D’Alessandro: Das ist eine sehr schwierige Frage. Es kommt auf das Geschäftsmodell an. Wenn irgendwie möglich würde ich mich bis zum Erreichen des organischen Wachstums über den Hauptjob finanzieren, und schauen, dass ich schnell liquide werde und reinvestieren kann. Habe ich aber ein Produkt, das ich erst selbst produzieren muss, also erst in Vorleistung gehen muss, dann gestaltet sich das weitaus schwieriger. Hier helfen in erster Linie nur das eigene Netzwerk sowie Friends & Family weiter. Die erste Finanzierungsrunde ist immer die härteste. Heutzutage gibt es aber auch Crowdfunding-Plattformen, die einem eine Überbrückungsmöglichkeit geben können, oder eben Mezzanines Kapital bei entsprechend guter Positionierung. Hier gilt es allerdings aufzupassen, wie die Bewertung des Unternehmens ist.
Letztendlich ist Unternehmertum immer eine Wette auf sich selbst!“
Marc Meier: Vielen Dank für diese spannenden Informationen.
Francesco D’Alessandro ist seit seinem 19. Lebensjahr Entrepreneur, Investor sowie Business-Experte. In den letzten 14 Jahren hat er mehrere Firmen im Bereich Loyalty Programme, Payment Solution, sowie insbesondere die Bezahlform „Kauf auf Rechnung im E-Commerce“ in der Schweiz als First Mover positioniert. Zuletzt war er mehrere Jahre Shareholder und als Chief Sales Officer bei der swissbilling AG in Renens (VD) tätig. Das Unternehmen hat er mit seinen Partnern an die Schweizer börsennotierte CEMBRA Money Bank AG verkauft.